Aschenputtel

Musikalischer Märchenworkshop mit Musik von Rossini ("La Cenerentola"), Massenet u.a.  (Vorschulklasse bis 10 Jahre)

Stellt man die Frage, welche Ingredienzien zu einem idealen Märchen gehören, fällt immer wieder der Name "Aschenputtel" - denn dort sind sie allesamt auf wunderbare Weise vereint. Die Geschichte vom armen, gedemütigten Mädchen, das durch die Einfachheit und Redlichkeit seines Charakters das Herz des Prinzen erobert, ist uralter Sagenstoff. In Europa ist das Märchen vor allem in den Fassungen der Brüder Grimm und des Franzosen Charles Perrault bekannt geworden - auf letzteren geht auch die berühmte Zeichentrickverfilmung von Walt Disney ("Cinderella", 1950) zurück.

Angelina (Aschenputtel) mit ihrem Vater, der Stiefmutter und den beiden Stiefschwestern Clorinda und Tisbe

Der Stoff des Märchens

Das Aschenputtel-Thema ist uralter Sagenstoff und menschlicher Archetypus mit einer langen Geschichte. Erste Spuren lassen sich im alten Ägypten und bei den Römern nachweisen. Die früheste bekannte Version des Märchens findet sich im "Youyang zazu" ("Ein bunter Teller von Geschichten von der Südseite des You-Hügels") des chinesischen Gelehrten Duan Chengsi (9.Jhdt.), einer Sammlung von Anekdoten und Erzählungen - und einer wahren Fundgrube zu Legenden, Sitten und Gebräuchen Chinas im Zeitalter der Tang-Dynastie (618-907). Eine weitere Variante beinhaltet die Novellensammlung "Die sieben Schönheiten" des persischen Dichters Nezami (12.Jhdt.), aber auch die Indianer Nordamerikas kennen dieses Märchenmotiv als Bestandteil ihrer Sagenwelt. Alles in allem nicht weniger als 400 Versionen!

Im europäischen Kulturraum sind zwei Versionen Allgemeingut geworden - und auf diesen beiden beruhen auch die meisten Weitererzählungen, Vertonungen, Dramatisierungen sowie Verfilmungen.

Charles Perrault

1697 erscheint die Sammlung "Contes de ma Mère l'Oye" ("Geschichten von meiner Mutter Gans"), mit welcher der französische Beamte und Schriftsteller Charles Perrault (1628-1703) das Genre Märchen in Frankreich und damit auch in Europa populär macht. Perrault - einer Familie aus dem Pariser Juristen- und Beamtenmilieu entstammend - beginnt seine Laufbahn gleichfalls als Jurist und wird später durch die Förderung des allmächtigen Finanzministers des Sonnenkönigs Jean-Baptiste Colbert oberster Kulturbeamter sowie Mitglied der Académie francaise. Bei der Verfassung seiner Märchen bezieht er sowohl die mündliche Überlieferung wie auch andere, vorzüglich italienische Autoren, mit ein, passt sie allerdings dem Geschmack des literarischen Publikums seiner Zeit, vor allem dem der Pariser Salons, an. Die leicht archaisierend verfasste Prosa wird immer wieder durch moralisierende Kommentare gebrochen, die die ironisierende Distanz des Verfassers zum erzählten Gegenstand widerspiegeln. Neben der Aschenbrödel-Geschichte, die unter dem Titel "Cendrillon ou La petite pantoufle de verre" ("Aschenputtel oder Der kleine Glasschuh") erscheint, enthält seine Sammlung eine Vielzahl weiterer zum europäischen Kulturgut zählender Märchen und Sagen in distinguiert französischer Verfeinerung: "Rotkäppchen" (mit "tragischem" Ausgang), "Der gestiefelte Kater", "Frau Holle", "Der kleine Däumling", "Blaubart", "Dornröschen" oder die berühmte "Eselshaut".

Jakob und Wilhelm Grimm

Im deutschen Sprachraum wurde der Aschenputtel-Stoff durch Ludwig Bechsteins (1801-60) "Deutsches Märchenbuch" (1845) - in erster Linie aber natürlich durch die berühmte Sammlung der Brüder Grimm Allgemeingut des Märchenschatzes.

Jakob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm lernten 1803 auf der Universität zu Marburg / Lahn die beiden Romantiker Clemens Brentano und Achim von Arnim - die Herausgeber der berühmten Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" - kennen, die bei ihnen das Interesse  für alte Hausmärchen  weckten. Die weitere  Recherche in ihrem Umfeld, vor allem aber die Bekanntschaft mit

"Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!"

der Märchenerzählerin Dorothea Viehmann (1755-1815) sowie Anleihen bei italienischen Schriftstellern und auch  bei Charles Perrault führten 1812 zur ersten Auflage der "Kinder- und Hausmärchen", denen bis zur Ausgabe "aus letzter Hand" (1857) noch weitere sechs folgten. Im Gegensatz zu Perraults Märchen, die einen konkreten Zeithintergrund und konkrete sozial-politische Verhältnisse reflektieren, bei denen eine "Moral" gleichsam augenzwinkernd daherkommt, spielen bei den Brüdern Grimm Bezüge zum Übersinnlichen, zu Himmel und Hölle, sowie zu Grunderfahrungen wie Leben und Tod eine wesentliche stärkere Rolle. Damit verbunden sind ein ausgeprägter pädagogischer Zug ("Erziehungsbuch") und eine der bürgerlich-christlichen Moral geschuldete "Grausamkeit"  - vgl auch "Der Struwwelpeter" als pädagogisches Hausbuch !!!

Die Kutsche mit Aschenputtel, Kutscher und den Lakaien ist bereit zur Abfahrt!

Der Workshop

Bei der Realisierung in Workshopform haben wir  das Grimm-Märchen mit Elementen der älteren französischen Fassung bereichert - so wurde die Gestalt der Fee beibehalten - als übersinnliches Wesen, das Aschenputtel mit den notwendigen Utensilien ausstattet, um auf dem Hofball Furore zu machen. Kleine Dialoge - im Vorfeld erarbeitet - markieren den Gang des Geschehens. Die Kinder werden zu Trägern der Handlung. Als Aschenputtel, Stiefschwestern, Prinz und Hofstaat, aber auch als Tiere, Pflanzen oder Requisiten erwecken sie das Märchen zum Bühnenleben. So werden beispielsweise alle Elemente, die bei der Verwandlung Aschenputtels in eine schöne Prinzessin von Belang sind (Mäuse, Kürbis, Eidechsen, Sechsgespann usw.) von Kindern gespielt. Wir wollen ihre Spiellaune wecken - und natürlich auch die Freude und Lust am Verwandeln, am Schlüpfen in eine andere Identität.

Die Musik

Wie die meisten Märchen hat auch "Aschenputtel" neben Schriftstellern und Malern vor allem Komponisten zur musikalischen Umsetzung angeregt. Schon 1759 erschien eine Opernfassung des französischen Sängers und Komponisten Jean-Louis Laruette (1731-92) und am Beginn des 20.Jhdts. haben seinerzeit beliebte Komponisten wie Ermanno Wolf-Ferrari (1902) und Leo Blech (1905) ihre Versionen dargelegt. 1901 erschien auch - posthum - ein Ballett des Walzerkönigs Johann Strauß-Sohn (1825-99). Zu den beliebtesten musikalischen Bearbeitungen des Märchenstoffs zählen allerdings die Vertonungen von Gioacchino Rossini ("La Cenerentola", 1817) und Jules Massenet ("Cendrillon", 1899).

Gioacchino Rossini  (1792-1868)

Rossini zählt zu den größten Meistern der Belcanto-Oper im frühen 19.Jhdt. und zusammen mit Gaetano Donizetti und Vincenzo Bellini zu den bedeutendsten italienischen Bühnenkomponisten der Zeit unmittelbar vor Verdi. Geboren zu Pesaro, lernte er als Kind Violine und Cembalo spielen; außerdem verfügte er über eine ansprechende Gesangsstimme. 1802 machte er die Bekanntschaft des wohlhabenden Giuseppe Malerbi, in dessen Bibliothek er sich mit den Werken der Wiener Klassik vertraut machen konnte. 1805 wurde er Student der Bologneser Akademie. Seine Oper "Tancredi" (1813) erzielte einen europaweiten Erfolg und in der Folgezeit entstanden die wichtigsten heiteren Opern: "Die Italienerin in Algier" (1813), "Der Türke in Italien" (1814), "Die diebische Elster" (1817). Mit dem "Barbier von Sevilla" (1816) gelang ihm eine der besten komischen Opern der Musikgeschichte. Sie ist dauerhafter Bestandteil des Repertoires aller Opernhäuser der Welt. Ebenfalls zum internationalen Repertoire zählt "La Cenerentola" ("Aschenbrödel"), das am 25.Jänner 1817 im Teatro Valle zu Rom das Licht der Bühnenwelt erblickte.

Gioacchino Rossini

Der Uraufführung gingen Streitigkeiten mit der Zensur voraus, so dass ein vollkommen neues Textbuch geschrieben werden musste, dessen Vollendung mit der Musik Hand in Hand ging - und das in einem Zeitraum von nicht einmal vier Wochen. Zweifelsohne dürfte die szenische wie musikalische Umsetzung auf Grund der zeitlichen Knappheit äußerst mangelhaft gewesen sein, so dass den ersten Vorstellungen die Publikumsgunst versagt blieb, die sich aber im Laufe der Jahre umso nachhaltiger einstellte. - In Rossinis Oper lernt Ramiro, der Prinz von Salerno, sein Aschenputtel Angelina schon vor dem Hofball kennen, da ihm dessen Bescheidenheit und Herzensgüte bereits von seinem Lehrer, dem Philosophen Alidoro, angepriesen wurden; wobei er sich allerdings nicht in seiner tatsächlichen sozialen Stellung präsentiert, sondern als sein eigener Diener Dandini, mit dem er die Rollen getauscht hat. Der Librettist hat das Märchen seiner metaphysischen Bezüge entkleidet und in eine Gesellschaftskomödie verwandelt: Alidoro fungiert gleichsam als Ersatz-Fee! Erkennungszeichen ist nicht der Schuh oder Perraults gläserner Pantoffel, sondern ein Armreif. Diese Veränderung dürfte ebenfalls der Zensur im Zeitalter der Restauration nach dem Wiener Kongress geschuldet sein: ein Frauenfuß - zumal ein unbeschuhter - als Ziel erotischer Phantasien wurde wohl als nicht schicklich empfunden.

In den folgenden Jahren wandte sich Rossini der ernsten Oper zu, die er durch psychologische Glaubwürdigkeit in der musikalischen Behandlung der Personen aus der gattungsgeschichtlichen Starre der opera seria des 18.Jahrhunderts zu lösen versuchte. Werke wie "Otello" (1816), "Moses in Ägypten" (1818) und vor allen "Wilhelm Tell" (Paris, 1829) sind Meilensteine auf dem Weg zu Verdi. Nicht zuletzt auch aus gesundheitlichen Gründen schrieb er danach keine weiteren Opern mehr. Er widmete sich der Kochkunst, war von 1836-48 Direktor des Musiklyzeums zu Bologna und verlegte 1855 seinen Wohnsitz nach Passy (Paris). Zu den bekanntesten Werken nach seiner Zeit als Opernkomponist zählen das "Stabat Mater" (1832/42), die "Petite Messe solennelle" (1863) sowie seine "Péches de vieillesse" ("Alterssünden"), eine Sammlung kleiner humoristischer Kompositionen: "Gefolterter Walzer", "Asthmatische Etüde", "Fehlgeburt einer Polka-Mazurka" u.a.

Rossinis Musik zeichnet sich neben der virtuosen Gestaltung seiner Koloraturarien und der farbigen Orchestrierung vor allem durch sein berühmtes Crescendo aus: kleine Motive oder Taktteile erzeugen durch oftmalige Wiederholung, verbunden mit einem linearen Anwachsen der Lautstärke eine suggestiv-hypnotische Wirkung, wie sie ähnlich rund hundert Jahre später Ravel mit seinem "Bolero" erzielte.

Perraults Märchen veranlasste auch einen anderen berühmten Opernkomponisten, dessen 100.Todestags wir heuer gedenken, zu musikalischer Gestaltung:

Jules Massenet (1842-1912)

Seine Lehrer am Pariser Konservatorium waren die berühmten Musikdramatiker Ambroise Thomas ("Wilhelm Meister", "Hamlet") und Charles Gounod ("Faust", "Roméo et Juliette"). 1863 erzielte er den begehrten Rompreis. Durch seine Bekanntschaft mit Franz Liszt lernte er seine spätere Ehefrau Constance de Gressy kennen, die ihm dieser als Klavierschülerin vermittelt hatte. 1878-93 lehrte er am Konservatorium und hatte unter anderem Gustave Charpentier ("Louise") und en großen rumänischen Komponisten George Enescu zu Schülern.

Die Musik seiner Opern, die vielfach auch heute noch dem Repertoire angehören, zeichnet sich durch eine leicht parfumiert-sentimentale Melodiegeben aus und macht den Komponisten dank der reichen Farbabstufungen in der Instrumentation zu einem Vorläufer des Impressionismus. Zu seinen bekanntesten Bühnenwerken zählen die Opern "Manon" (1884) und "Werther" (1892). Seine Aschenputtelversion "Cendrillon" gelangte 1899 zur Erstaufführung und konnte sich - zumindest in Frankreich - im Bühnenrepertoire halten. Die bekannteste Komposition aus seiner Feder dürfte das Violinsolo aus der Oper "Thais" (1894) sein, die berühmte "Meditation".

Jules Massenet