DIE KLEINE MEERJUNGFRAU 

Workshop nach dem Märchen von Hans Chris tian Andersen (Vorschulklasse bis 10 Jahre) 

Kaum ein  Mensch, der sie nicht kennt! Kaum ein Kinderherz, das nicht berührt wurde vom Schicksal der kleinen Meerjungfrau, die sich in einen Prinzen verliebt und sich deshalb nichts sehnlicher wünscht, als wieder geliebt zu werden und so eine unsterbliche Seele zu erlangen! - Von den unzähligen Sagen, Balladen, Erzählungen und Romanen, die sich mit dem Los mythischer Wassergeister auseinandersetzen, dürfte die Märchenfassung des großen dänischen Dichters Hans Christian Andersen (1805-75) die wohl bekannteste und beliebteste sein. Zahllose Vertonungen, Verfilmungen - auch in Musicalform wie Disneys "Arielle" - Gestaltungen in Literatur, Malerei und bildhauender Kunst zeugen von der unverminderten Beliebtheit des Sujets.

Die Skulptur der "Kleinen Meerjungfrau" von Edvard Eriksen (1913) im Kopenhagener Hafen ist das Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt

Hans Christian Andersen - Der Dichter und sein Werk

Hans Christian Andersen wird am 2.April 1805 zu Odense auf Fünen als Sohn des Schuhmachers Hans Andersen und der alkoholkranken Wäscherin Anne Marie Andersdatter geboren. Das Andenken an beide hat der Dichter allerdings in seiner Autobiographie "Das Märchen meines Lebens" stark idealisiert. Nach dem Tod des Vaters (1816) geht er nach Kopenhagen, um dort als Schauspieler an einem Theater unterzukommen. Schließlich nimmt ihn Jonas Collin, der Direktor des Königlichen Theaters, in seine Obhut. Von der Theaterdirektion unterstützt und durch König Friedrich VI. gefördert, kann er von 1822-26 die Lateinschule in der kleinen Provinzstadt Slagelse besuchen, von 1826-28 eine weitere in Helsingor und anschließend die Universität Kopenhagen. Am Ende seiner Schulzeit entsteht das Gedicht "Das sterbende Kind", in dem der Dichter die Welt aus der Sicht eines kleinen Kindes beschreibt, eine Perspektivwahl, die typisch für sein späteres Schaffen wird. Auch in der "Kleinen Meerjungfrau" nimmt der Leser unsere Umwelt aus der Sicht der staunenden Meerjungfrau wahr.

Hans Christian Andersen im Alter von 62 Jahren

Die in den 30-er und 40-er Jahren des 19.Jahrhunderts entstandenen Werke, vor allem aber seine ab 1835 in mehreren Sammlungen herausgegebenen Märchen, begründen den Weltruhm des Dichters. Mit Andersen und seinem Zeitgenossen Sören Kierkegaard (1813-55). dem Begründer des philosophischen Existentialismus, wird die dänische Literatur Teil der Weltliteratur. Zahlreiche Reisen - darunter viele, die er auf Einladung als Rezitator seiner eigenen Werke unternahm - führen in durch Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien bis nach Nordafrika und ins Osmanische Reich. So wird er allmählich zu einer bekannten und beliebten Gestalt in der europäischen Literaturszene. Den persönlichen Höhepunkt sieht er in der Ernennung zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt Odense, mit der auch das "Märchen meines Lebens" schließt.

Andersen blieb sein Leben lang unverheiratet. Enge Verbindung hatte er mit der Tochter seines Gönners Louise Collin. Seine große Liebe Riborg Voigt, die Schwester eines Studienfreundes, war bereits einem anderen Mann versprochen - ihren Abschiedsbrief bewahrte er zeitlebens in einem Ledersäckchen, das er bei sich trug, auf. Freundschaften pflegte er auch mit Sophie Örsted, der Tochter des Entdeckers des Elektromagnetismus Hans Christian Örsted, sowie mit der als "schwedische Nachtigall" berühmten Sängerin Jenny Lind. Ob Andersen homosexuell gewesen sei, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Hingezogen fühlte er sich zu Edvard Collin, dem Sohn seiner Ersatzeltern, den diese Zuneigung jeder eher befremdete. Jüngere Untersuchungen beschäftigten sich mit der Herausarbeitung der homoerotischen Maskierung in seinen Märchen und Romanen.

Örsted soll zu Andersen gesagt haben: "Sollten Ihre Romane Sie berühmt machen, so werden Ihre Märchen Sie unsterblich machen!" Für die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts ein ungewöhnliche Aussage, denn die Märchendichtung gehörte eher zur Mode und war keineswegs eine Ausnahmeerscheinung. In der Zeit der Romantik, in der man sich auf die Suche nach den geistigen Wurzeln des eigenen Volkes begab, die man in den Sagen und Mythen sowie in der Geschichte des Mittelalters zu finden glaubte, bildete das Märchen das geeignete Vehikel zu Identifikationsfindung. Man denke dabei an die Märchensammlungen der Brüder Grimm oder Ludwig Bechsteins oder an die Kunstmärchen des früh verstorbenen Wilhelm Hauff.

Andersen gibt seinen Märchen allerdings eine persönliche Note: ihm dienen sie einerseits als satirische Abrechnung mit seiner Umwelt, andererseits als poetische Umformung seines Lebens und seiner Probleme. So hat beispielsweise die Liebe zur oben erwähnten Jenny Lind ihren Niederschlag in dem Märchen "Die Nachtigall" gefunden. "Des Kaisers neue Kleider" werden oft als ironische Brechnung seiner Auseinandersetzung mit dem dänischen Literaturkritiker Johan Ludvig Heiberg interpretiert, bei der es um die Frage des Vorrangs von Inhalt und Form bei einem literarischen Werk ging. Im Gegensatz zur prosaischen Form der Grimmschen Volksmärchen sind Andersens Kunstmärchen in ihrer sprachlichen Wirkung genau berechnet - dazu gehört auch die plastische Schilderung der jeweiligen Szenerie. Die Schilderung der Welt oberhalb und unterhalb des Wasserspiegels in der "Kleinen Meerjungfrau" hat eindeutig südlichen Charakter, sie ist Reflexion seiner großen Italienreise (1834).

Andersens Märchen wurden in alle Kultursprachen übersetzt, was allerdings auch zu vielen philologischen Ungenauigkeiten führte, da die Übersetzung oftmals nicht aus dem dänischen Original, sondern aus einer bereits vorhandenen Übertragung in eine andere Sprache erfolgte. Zu seinen bekanntesten Märchen zählen neben den bereits oben erwähnten: "Die Schneekönigin", "Die Prinzessin auf der Erbse", "Der standhafte Zinnsoldat", "Die Galoschen des Glücks", "Das Feuerzeug", "Das hässliche Entlein", "Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern", "Die Geschichte einer Mutter", "Der Tölpel-Hans" oder - Zeichen einer pessimistischen Weltsicht . "Der Schatten". - Neben den Märchen verfasste Andersen zahlreiche Theaterstücke und Romane, so "Der Improvisator" (1835), "Ahasver" (1847) oder "Die zwei Baronessen" (1848).

Der Workshop

"Die kleine Meerjungfrau" erschien zum ersten Mal 1837 im 3.Heft von Andersens "Märchen, für Kinder erzählt" und zählt bis zum heutigen Tage zu den bekanntesten und beliebtesten Märchen der Welt.

Die kleine Meerjungfrau mit ihrer Menschenstatue - dahinter die freche Krabbe Sebastian

Unser Workshop orientiert sich an der originalen Gestalt des Märchens - was vor allem den Schluss betrifft, welcher in der berühmten Zeichentrickversion der Disney-Studios in ein "Happy-End" umgebogen wurde. Einzig den Namen der kleinen Meerjungfrau  ("Arielle") - und die freche Krabbe Sebastian - haben wir übernommen, denn bei Andersen haben die Protagonisten - wie übrigens auch bei den meisten Grimm-Märchen - keine Namen. Die Kinder verwandeln sich - angeleitet von uunseren Schauspielern / Sängern, die ebenfalls in die eine oder andere Rolle schlüpfen - in Arielle, ihre Schwestern, die Großmutter, werden zu Prinz und Prinzessin, aber auch zu Meereswogen, Besuchern eines Balles oder den Töchtern der Luft. Gelegenheit genug, sich spielerisch "auszutoben"! Gefragt ist vor allem Phantasie, denn wir können in den Turnsaal oder das Klassenzimmer, in dem der Workshop stattfindet, keine großen Theaterkulissen zaubern. Wichtig ist das Spiel der Kinder untereinander sowie die Interaktion mit uns. Kleine Dialoge - die vorzubereiten sind - markieren die wesentlichen Stationen der Handlung, vieles ist Improvisation. Neben den Rollen mit Dialog gibt es noch jede Menge stummer Rollen, so dass alle Kinder ihren Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen können.

Die Musik

Zahlreiche Komponisten haben sich mit dem Leben mythischer Wassergeister - ähnlich unserer Meerjungfrau - auseinandergesetzt. Angeregt durch Friedrich de la Motte Fouqués Erzählung "Undine" (1811) schuf der deutsche Dichter-Komponist E.T.A. Hoffmann bereits 1816 eine Oper gleichen Namens, eine wichtige Station auf dem Weg zur  romantischen Oper Carl Maria von Webers ("Der Freischütz"). Noch bekannter wurde allerdings Gustav Albert Lortzings (1801-51) gleichnamige Oper (1845). Er ist der Komponist noch heute gerne gespielter Werke wie "Zar und Zimmermann" oder "Der Wildschütz".

Undinen sind den Nymphen verwandte Elementarwesen, die in Wasserfällen, Bächen oder Waldseen beheimatet sind. Wie die griechischen Sirenen verfügen sie über die Gabe zauberhaften Gesangs - ein Merkmal, das auch unserer kleinen Meerjungfrau eigen ist. Die slawische Entsprechung heißt Rusalka.

Die Meerhexe mit ihrer Beute, verfolgt vom Wasserfürsten Kühleborn

Eine Oper gleichen Namens hat der weltberühmte tschechische Komponist Antonín Dvorák (1841-1904) geschrieben (1901). Während Lortzings "Undine" allerdings noch ein Happy-End aufweist (der treulose Ritter Hugo wird von Undine und ihrem Vater Kühleborn in ihren Palast auf dem Grund des Sees gezogen), stirbt der Prinz in Dvoráks Oper an Rusalkas letztem Kuss. Musik aus den Opern Lortzings und Dvoráks wird unseren Workshop begleiten - teils als Konserve, teils live (Gesang) dargeboten.

1905 wurde in Wien Alexander von Zemlinskys (1871-1942) Orchesterfantasie "Die Seejungfrau" uraufgeführt. Das in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Zuge der Zemlinsky-Renaissance der Vergessenheit entrissene Werk schildert in 3 Sätzen das Schicksal der kleinen Meerjungfrau in enger Anlehnung an den Handlungsablauf des Märchens. Seine außerordentlichen Qualitäten liegen im melodischen Einfallsreichtum und der farbigen, dem Impressionismus nahestehenden Orchestersprache.

Die Töchter der Luft führen Arielle mit sich fort

"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten..."

Zu den weiblichen Wasserwesen zählt auch die Loreley, die dem am Mittelrhein bei St.Goarshausen gelegenen 132 m hohen Felsen den Namen gegeben hat. Über ihr Schicksal erzählen mehrere Sagen;  so soll sie - darin den Sirenen verwandt  - mit ihrem Gesang und dem goldenen Haar, das sie im Schein der Abendsonne kämmte,  die auf dem Rhein fahrenden Schiffer dermaßen verzaubert haben, dass sie nicht auf die gefährlichen Wasserstrudel unterhalb des Felsens achteten und in den Fluten versanken. Heinrich Heine (1797-1856) schrieb über sie 1824 sein wohl bekanntestes Gedicht, das im Laufe der Jahre mehr als 40 mal vertont wurde, u.a. von Franz Liszt und Clara Schumann.

Die bekannteste und zum Volkslied gewordene Fassung stammt allerdings von dem württembergischen Liederkomponisten Friedrich Silcher (1789-1860), der als einer der wichtigsten Protagonisten des Chorgesangs zahlreiche Chorsätze von deutschen und internationalen Volksliedern arrangierte, die noch heute als Allgemeingut zum Grundrepertoire vieler Gesangsvereine gehören. Seit 1817 wirkte er als Musikdirektor an der Universität Tübingen und gründete 1829 die "Akademische Liedertafel".  Als Komponist schrieb er neben Motetten, Kammermusik und zwei Ouvertüren vor allem Lieder, von denen viele zu Volksliedern wurden: "Ännchen von Tharau", "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus", "So nimm denn meine Hände", "Wenn alle Brünnlein fließen", "Kein Feuer, keine Kohle", "In einem kühlen Grunde"  u.a.  Die Vertonung von Heines Gedicht stammt aus dem Jahre 1837.

 Da es sich bei unserer "Meerjungfrau" um einen musikalischen Workshop handelt, soll auch der Gesang nicht zu kurz kommen. Die Silcher-Weise von der Loreley soll von allen Teilnehmern als großer Chor "erschallen".

Der Loreley-Felsen